Ärzteschaft, Spitäler und Kantone bewerten neuen Gesetzesartikel zum Komatrinken als untauglich
23. Oktober 2014
Personen, die wegen übermässigem Alkoholkonsum ins Spital eingeliefert werden, sollen die Kosten dafür selber tragen – das will ein von der SGK-N vorgeschlagener neuer Artikel im KVG. Die direkt Involvierten ─ Ärzteschaft, Spitäler und Kantone ─ bezeichnen diesen Vorschlag als untauglich. Für sie ist klar: Die vorgesehene Abgrenzung zwischen Rauschtrinkern und Alkoholabhängigen ist in der Praxis nicht durchführbar. Es entstehen Mehrkosten für die Spitäler und die soziale Krankenversicherung. Und der Vorschlag hat keine nachgewiesene präventive Wirkung. Deutlich wehren sich die FMH, H+ und die GDK auch gegen einen Paradigmenwechsel vom Solidaritäts- zum Verursacherprinzip.
Ausgehend von der parl. Initiative Bortoluzzi schlägt die nationalrätliche Kommission SGK-N einen neuen Artikel im KVG vor, wonach die Versicherten die Kosten bei übermässigem und selbst verschuldetem Alkoholkonsum zu 100% selber tragen sollen. Ärzteschaft, Spitäler und Kantone lehnen diesen Vorschlag einhellig ab.
Er ist in der Praxis faktisch undurchführbar: Grosse Schwierigkeiten ergeben sich bei der Abgrenzung zu anderen Ursachen für eine Spitaleinweisung, etwa zu einer Alkoholabhän-gigkeit, zu Intoxikationen durch andere Suchtmittel, zu unfallbedingten Verletzungen und zu psychischen Krankheiten. Ärztinnen und Ärzte müssten ihre Beurteilung rechtlich nachvoll-ziehbar dokumentieren und dafür zusätzliche medizinische Abklärungen vornehmen. Und dies meist in der Nacht, wenn die Spitalleistungen am teuersten sind und weniger Personal anwesend ist. Dieser gesteigerte Aufwand im Spital dürfte die geringen Einsparungen zu Lasten der Grundversicherung bei Weitem übersteigen.
Im Gegensatz zu anderen Massnahmen im Bereich des Jugendschutzes gibt es keinen Nachweis für eine präventive Wirkung des vorgeschlagenen Artikels. Die Vorlage ist mit ihren Anreizen zudem potentiell gesundheitsgefährdend (oder im schlimmsten Fall tödlich) für junge Menschen. Ist die Behandlung im Spital nicht mehr gedeckt, besteht eine Hemmschwelle, junge Trinkerinnen und Trinker rechtzeitig ins Spital zu bringen. Bei allen Altersklassen ist zudem mit einer noch stärkeren Tabuisierung der Alkoholabhängigkeit zu rechnen. Dies ist aus medizinischer und gesundheitspolitischer Sicht klar abzulehnen.
Problematisch beurteilen Ärzteschaft, Spitäler und Kantone den Paradigmenwechsel vom Solidaritäts- zum Verursacherprinzip. Solch einen grundlegenden Wechsel sollte das Parlament nicht an einem populären, aber untypischen Fall vollziehen. Komatrinken ist weder eine häufige noch eine typische Krankheit. Behandlungen von Jugendlichen wegen einer Alkoholvergiftung sind in den letzten Jahren sogar rückläufig. Wollte man mehr Selbstverantwortung diskutieren, müsste die Frage gestellt werden, warum man nicht bei viel häufigeren und teureren Krankheiten und Verhalten ansetzt wie Lungenkrebs bei Rauchern oder Herz- und Kreislauferkrankungen bei Übergewichtigen. Ein solch weitgehender Schritt bei den medizinischen Leistungen der sozialen Krankenversicherung scheint FMH, H+ und der GDK jedoch nicht opportun.